China: Neue Trends im E-Commerce

Der chinesische E-Commerce-Markt ist äußerst innovativ. Social Commerce und Live Streaming-Apps sollen den klassischen Stadtbummel digital nachahmen. Drohnen- und FTS-Belieferungen nehmen in ländlichen Gebieten zu.

Das Land der Mitte besitzt mehr Internet-Nutzer als jedes andere Land der Erde. Laut Statista nutzten Ende 2020 rund 904 Millionen Chinesen das Internet, was sich auch in der großen Verbreitung von Apps niederschlägt. Der Umsatz im Online-Handel betrug im Jahr 2020 gemäß E-CommerceDB (Statista GmbH) 943 Milliarden Euro. Für 2024 werden 1312 Milliarden Euro erwartet. Dies entspricht einem jährlichen Umsatzwachstum von rund sieben Prozent (kumulierte jährliche Wachstumsrate 2020-2024). Gemäß dem Rakuten-Report „The State of e-Commerce in Asia-Pacific“ (2018, 1) kaufen die meisten jungen Chinesen über ihr Handy ein. Bei den 18- bis 24-jährigen kaufen 98 Prozent mobil ein. Selbst bei den 45- bis 54-jährigen sind es noch 87 Prozent. Lediglich Käufer über 55 Jahren ziehen beim Online-Shopping den PC oder Laptop einem mobilen Gerät vor. 

Chinesen wollen Convenience

Die Schlacht um Marktanteile und Verkäufe wird im Online-Handel auch besonders im Bereich Convenience ausgetragen. Die Käufer wollen möglichst eine Eilzustellung am selben Tag oder zumindest ihr Zeitfenster für die Zustellung selbst wählen. In China werden 70 Prozent aller Pakete am selben Tag ausgeliefert. Da der chinesische Kunde sehr fordernd ist, müssen sich die Online-Händler und -plattformen auf der letzten Meile einiges einfallen lassen. Entscheidende Innnovationen werden hier überwiegend durch die Internet-Giganten Alibaba und JD.com sowie durch Logistics Solutions Providers entwickelt. Der starke Wettbewerb hat ausgeklügelte und bereits weltweit führende Logistiklösungen hervorgebracht. 

Markt ist extrem innovativ

Viele neue E-Commerce-Trends (2) erobern im Land der Mitte den Markt und können durchaus eine Vorbildfunktion für andere Länder haben. Zu den Trends gehören der Wandel vom Key Opinion Leader (KOL)- zum Key Opinion Consumer (KOC)-Marketing, Live Streaming, Kurzvideos und Kurzvideo-Apps, Gruppenkäufe z. B. via Pinduoduo, Social Commerce, Nutzung von exklusiven Clubs oder z. B. WeChat-Gruppen, Omnichannel Marketing, kanalübergreifende Nutzung von Big Data und KI, Verwendung von mobilen Bezahlplattformen wie Alipay, WeChat Pay und Nutzung von Fintech-Angeboten, grenzüberschreitender E-Commerce, Fokus des E-Commerce und New Retail auf kleinere und mittlere Städte und nicht zuletzt die Einführung des digitalen Yuans. 

KOC oder zu Deutsch auch Hauptmeinungs-Konsumenten sind "normale" Kunden die Produkt-Rezensionen und Empfehlungen als Video- oder Blog-Post erstellen. KOC sind Influencer, die den Vorteil der Authentizität genießen. Man könnte das Ganze auch als Beziehungsmarketing (Teil des Social Commerce) beschreiben. Kunden sind ständig auf der Suche nach authentischen und vertrauenswürdigen Empfehlungen und Ratschlägen. 

Ein wichtiger E-Commerce-Trend ist die digitale Nachahmung des klassischen Stadtbummels, die am besten durch die Nutzung von Social Commerce und Live-Streaming erreicht wird. Mehr als 300 Millionen Chinesen nutzen bisher Kurzvideo-Apps wie Douyin und Kuaishou. Käufer, die jünger als 35 Jahre sind und aus Haushalten mit mittleren bis hohes Einkommen in größeren Städten kommen, nutzen meist dieses Medium. Der E-Commerce Trend wird durch die Tendenz zu mehr packenden Video-Inhalten und FOMO (Fear Of Missing Out) angetrieben. Komplettiert wird das ganze durch die Möglichkeit der Ein-Klick-Bestellung. 

Eine weitere interessante Entwicklung ist der Trend zu Gruppen-Käufen z. B. auf Pinduoduo. Dabei hat jedes Produkt bei Pinduoduo zwei Preise - einen für den Einzelkauf und den zweiten für den Gruppenkauf z. B. mit einem Freund. Mit jeder weiteren Person reduziert sich der Preis weiter. Dadurch werden Kunden motiviert, ihre Käufe auf Social Media-Plattformen zu teilen und weitere Käufer zu finden. 

Generell zeigt der chinesische Käufer ein stark mobiles Konsumverhalten. Die meisten Chinesen kaufen mittels Smartphones bzw. Tablet. 80 Prozent des Kaufvolumens des Online-Einzelhandels wird auf mobilen Geräten generiert - weltweit liegt der Schnitt bei 64 Prozent. 

New Retail: Kombinierte Online-Offline-Lösung

Sowohl Alibaba als auch JD.com betreiben Offline-Supermarktketten (Hema und 7FRESH), die sie in den letzten Jahren stark ausgebaut haben. Seit 2015 hat Alibaba 150 Hema-Supermärkte in 21 Städten eröffnet, davon 88 im Jahr 2018. JD.com will bis 2023 1000 7FRESH-Märkte eröffnen. Beide Supermarktketten fungieren zudem als Fulfillment- und Verteilungs-Zentrum für Online-Bestellungen (überwiegend Lebensmittel) der Kunden. Entscheidend für das ganze Geschäftsmodell ist die jeweilige App, die die Daten der Käufer sammelt und u. a. speziell zugeschnittene Produktvorschläge auf Basis der jeweiligen Kaufhistorie unterbreitet. Für das Tracking der Ware bzw. für den Nachweis der Herkunft wird Blockchain-Technologie genutzt. Zudem hat die Corona Krise das Online-Geschäft der lokalen Einzelhandelsmärkte expandieren lassen. 

Cainiao und die letzte Meile

Alibaba ist Mehrheitsteilhaber beim Logistik-Netzwerk Cainiao, das im Jahr 2013 ins Leben gerufen wurde. Generell handelt es sich um eine Zusammenarbeit von Logistikern, die im Bereich Lagerhaltung, Transport bzw. Auslieferung auf der Letzten Meile zusammenarbeiten. Das Herzstück ist eine Datenaustauschplattform und die über zwei Millionen Auslieferungsfahrer im Netzwerk, die von Firmen wie SF, ZTO and YTO gestellt werden. Der Geschäftsführer der Alibaba Group und Vorsitzende von Cainiaos Smart Logistics Network Daniel Zhang sagte laut Retail Technology Innovation Hub: „Nur durch den Aufbau einer digitalen Logistik-Infrastruktur können wir die Industrie voranbringen. Wir werden zusammen mit Partnerunternehmen alle Lagerhäuser, Ausrüstungen, Transportfahrzeuge und Handheld-Geräte der Kommissionierer in das digitale Netzwerk integrieren.“ Über die Internet of Things (IoT)-Plattform können Partnerfirmen und Entwickler Daten austauschen und Kommunikationsprotokolle einführen. Innerhalb von drei Jahren sollen 100 Millionen Smart Devices verbunden werden. Es ist ebenso geplant das Netzwerk der Pick Up-Stationen von Cainiao Post auf 100000 Standorte zu erweitern, um die Kosten auf der letzten Meile zu senken. Momentan wird jedes zehnte Paket von Alibabas Taobao und Tmall von Cainiao Post gehandelt. Das Ziel des chinesischen Internetgiganten ist, alle inländischen Paket innerhalb von 24 Stunden und alle internationalen Pakete innerhalb von 72 Stunden zuzustellen. Das Netzwerk nutzt Big Data-Solutions und Künstliche Intelligenz, um Sales und Parcel Forecasting sowie eine Intelligente Tourenplanung für 99 Prozent aller Pakete zu gewährleisten. Das Land der Mitte besitzt die höchste Verbreitung von Abholstationen in der Welt (z. B. in Büros, Apartment-Blocks, Universitäten). Die Kurierfirmen SF Express und STO Express betreiben u. a. ein durch andere Firmen offen nutzbares System. Cainiao will zudem eine Milliarde zusätzliche Versendungen pro Jahr durch seine Courier-App „Cainiao Guoguo“ generieren. Durch die intelligente Bereitstellung von Ressourcen mittels Big Data-Analyse werden Pakete durchschnittlich innerhalb einer Stunde abgeholt. 

Drohnenlieferung in ländlichen Gebieten

JD.com hat sich im November 2018 die erste chinesische Lizenz für den Betrieb von Drohnen in der Logistik in ländlichen Gebieten gesichert. Die unbemannten Luftfahrzeuge werden zunächst in Shaanxi, Jiangsu, Hainan, Qinghai, Guangdong, Fujian und Guangxi eingesetzt. Die ländlichen Gebiete sind oft sehr schwer zu erreichen, daher steigert hier der Einsatz von Drohnen die Effizienz enorm. Verwendet werden unterschiedliche Drohnenmodelle mit verschiedenen Nutzlasten. Bis 2020 soll der Online-Handel in den ländlichen Gebieten Chinas auf 296 Milliarden USD mit 10 bis 13 Milliarden Paketen steigen. Die E-Commerce-Giganten haben die ruralen Gebiete Chinas ins Visier genommen, da hier noch große Wachstumspotenziale bestehen. Alibabas Taobao und Pinduoduo sind in den ländlichen Gebieten extrem populär. Folgerichtig hat Alibaba laut South China Morning Post (SCMP) eine rurale Initiative mit dem Namen „Rural Taobao“ entwickelt, die sich bis 2021 auf 1000 Landkreise und 150 000 Dörfer erstrecken soll. Cainiao ist u. a. eine Partnerschaft mit der Beihang Unmanned Aircraft System (Ableger der Universität Beihang) eingegangen, um die bisher weltweit größte Lieferdrohne zu entwickeln. Sie soll eine Nutzlast bis zu einer metrischen Tonne besitzen und ununterbrochene Flüge von bis zu1500 km durchführen können. 

Nutzung von fahrerlosen Fahrzeugen

Während des Coronavirus-Ausbruchs sind autonome Lieferroboter bzw. -fahrzeuge in China aufgrund der Angst vor Ansteckung zu ganz neuen Ehren gekommen. Die Onlineshopping-Plattform für lokale Produkte Meituan Dianping hatte schon im Januar „kontaktlose Lieferung“ mit autonomen Lieferfahrzeugen im Shunyi-Distrikt in Beijing eingeführt. Das Fahrzeug kann 100 kg pro Trip transportieren und rund fünf Bestellungen pro Tour abarbeiten. JD.com nutzte u. a. auch autonome Fahrzeuge für die Lieferung auf der letzten Meile für Krankenhäuser in Wuhan. Der Einsatz dieser Fahrzeuge ist gemäß SCMP auch durch den Fall eines erkrankten Kurierfahrers in Shenzhen sehr populär geworden. Bereits Mitte Mai letzten Jahres hat das chinesische Start-Up Neolix laut Bloomberg mit der weltweit ersten Massenproduktion von autonomen Lieferfahrzeugen begonnen. Kunden sind Unternehmen wie JD.com und Huawei. Die Lieferroboter können autonom auf Fuß- und Feldwegen fahren. Auch Alibaba hat schon Mitte 2018 den Lieferroboter „Cainiao G Plus“ auf einer Konferenz vorgestellt. Momentan wird er im intelligenten Logistikpark „Cainiao Chengdu Future Park“ eingesetzt und transportiert dort Pakete zwischen einzelnen Zentren. 

Literatur:

1 The State of e-Commerce in Asia-Pacific (2018), Rakuten-Reports, Tokio, Link 

2 12 China E Commerce Market Trends 2021, 21. Dez. 2020, Tenba Group, Cyprus, Link 

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