Urbane Logistik - den "Wilden Westen" verhindern

Das Aufgabenfeld der „Urbanen Logistik“ ist sehr weit gespannt. Es müssen neue Wege für den künftigen Warenverkehr gefunden werden. Roland Berger hat vier Entwicklungsszenarien präsentiert.

Die urbane Logistik wird zunehmend durch den expandierenden Warenverkehr - nicht zuletzt durch den rasant wachsenden E-Commerce - belastet. Einerseits nimmt die Verstädterung und damit die Anzahl der Menschen, Kfz, Warenströme, Abfall- und Recyclingströme, etc. zu, anderseits existiert aufgrund des Klimawandels ein zunehmender Druck zum nachhaltigen Wirtschaften. Folglich beschäftigt sich die Urbane Logistik mit Ideen und Konzepten zur Gestaltung einer stadtverträglichen, effizienten und umweltbewussten Versorgung von Metropolen und Städten.

Weites Feld und komplexe Aufgaben

Das Feld ist generell sehr weit gespannt und reicht u. a. von Elektromobilität, leiser Logistik über Hyperloop, Drohnenbelieferung bis hin zu Seilbahnsystemen (1). Es müssen neue Wege für den Warenverkehr der Zukunft gefunden werden, um die gestellten Herausforderungen zu meistern. Dabei müssen im wahrsten Sinne des Wortes neue räumliche und zeitliche Dimensionen erschlossen werden. Der Warenverkehr kann in den Luftraum als auch unter die Erde verlegt werden und zudem durch die Erschließung der Nachtzeit für die Warenanlieferung auf der letzten Meile mittels leiser Logistik entzerrt werden. Das Aufgabengebiet, die Anforderungen und entsprechende Lösungen sind dabei hochkomplex. 

Vier Entwicklungsszenarien für die Urbane Logistik

Die Urbane Logistik wird in erster Linie durch die vier Haupttrends Urbanisierung, E-Commerce, gewünschte schnelle und individuelle Belieferung, sowie die Forderung nach flexiblen und kleinteiligen Lieferungen im Einzelhandel geprägt. Daraus ergeben sich enorme Herausforderungen für die Logistik der Städte und natürlich auch für die Bewohner. Verkehrs- und Lärmbelastung, Umweltverschmutzung, Stadterwärmung sind Probleme, die neue Konzepte und Ideen der Urbanen Logistik aufnehmen und lösen müssen. Die Unternehmensberatung Roland Berger hat dazu die Studie "Urbane Logistik 2030 in Deutschland" (2018) erstellt und publiziert (2). Die Frage ist dabei, wie Städte die Urbane Logistik nachhaltig gestalten können und welche Interessengruppen (Stadt, Logistiker, Händler und Bürger) hier die Führungsrolle übernehmen. Wie groß wird dabei die Abstimmung zwischen Privatwirtschaft und Staat sein? Die Unternehmensberatung kommt dabei zu keinem einfachen Schluss, sondern präsentiert vier Szenarien; "Wilder Westen", "Regulierte Vielfalt", "Stadtplattform" und "Koexistenz der Großen". 

Beim Szenario "Wilder Westen" greift der Staat kaum regulierend in die Entwicklung ein und überlässt den Logistikern das Feld. Innovative Unternehmen mit neuen Logistikkonzepten besonders auf der letzten Meile buhlen um die Gunst des Kunden. Bei der "Regulierten Vielfalt" definiert und überwacht die Stadt den regulatorischen Rahmen. Beispiele für Eingriffe der Stadt sind die Einführung einer dynamischen City-Maut für die Steuerung der Wirtschaftsverkehre, Parkplatzbewirtschaftung und geregelte Einfahrzeiten für Zustellungen, Lieferungen und Transporte. Allerdings verhindert starker Wettbewerb dabei die Einführung von Kooperationen und Standards. Bei den nächsten zwei Szenarien nimmt die Kooperationsstärke im Gesamtsystem zu. Das Szenario "Stadtplattform" beschreibt eine Plattform durch die Warenströme anbieterübergreifend gebündelt und die Zustellung mithilfe dezentraler Lager auf der letzten Meile optimiert wird. Dabei kann die Plattform von der Stadt selbst, von einem Dritten oder in Form einer öffentlich-privaten Partnerschaft betrieben werden. Die Betreiberlizenz wird regelmäßig neu vergeben. Auf der Plattform laufen Angebot und Nachfrage für die Auslieferung ab den dezentralen Lagern zusammen. Die Auftragsvergabe für die Zustellungen erfolgt an die besten geeigneten Unternehmen. Bei der "Koexistenz der Großen" entstehen wenige große, konkurrierende Plattformen für die Logistik auf der letzten Meile. Diese Plattformen können aufgrund der großen Anzahl der Nutzer und des hohen Liefervolumen die Lieferungen und Fahrzeuge besser koordinieren und bündeln. Logistiker können sich entweder einer der vorhandenen Plattformen anschließen oder selbst eine Plattform entwickeln. Wer nicht zu einer der Plattformen gehört, wird im Rahmen der Konsolidierung aus der Stadt verschwinden. Durch die Konkurrenz werden sich einige wenige wirtschaftlich effiziente Plattformen herausbilden, die verschiedene Ökosysteme und Standards etabliert haben. 

Generell sollten alle Interessengruppen wie Unternehmen und Städte daran arbeiten, das Szenario "Wilder Westen" zu verhindern, da dieses zu einer starken Zunahme des innerstädtischen Verkehrs und zu einer weiteren Behinderung des städtischen Verkehrsflusses führen würde. 

Lösungsbeispiele in der Urbanen Logistik

Emissionsfreie Belieferung mit Mikrohubs 

In mehreren Städten in Deutschland existiert bereits die emissionsfreie Belieferung. Das Logistik-Unternehmen Dachser will bis Ende 2022 mindestens elf europäische Metropolregionen emissionsfrei mit Paketen beliefern (3). Dazu gehören die deutschen Städte Stuttgart, Freiburg, München und Berlin. In anderen Teilen Europas wurden dazu z. B. Oslo, Paris und Madrid ausgewählt. Das Baukastensystem besteht aus Elektro-Transportern bzw. -Lkw, elektrisch unterstützten Lastenfahrrädern und sog. Mikrohubs. Die Lastenfahrräder können Stückgut, Pakete bzw. palettierte Ware bis 250 kg auf der letzten Meile bis zum Kunden befördern. Die E-Lkw versorgen die Mikrohubs (kleine Umschlagslager) mit Ware und liefern auch größere und schwerere Ware direkt an die Kunden. Die Lastenräder werden am Mikrohub beladen und kommen vor allem in Fußgängerzonen für die Lieferung von Paketen zum Einsatz. Dachser will damit einen Beitrag zum Klimaschutz und zur Einhaltung des 2-Grad-Ziels des Pariser Abkommens leisten. 

Geräuscharme Nachtlogistik 

Das Forschungsvorhaben Geräuscharme Nachtlogistik (GeNaLog) des Fraunhofer Instituts IML soll in Zukunft zu einer leisen und zudem emissionsfreien Belieferung von Kunden in Wohngebieten auch in der Nacht durch geräuscharme Fahrzeuge bzw. Elektrofahrzeuge führen (4). Dabei setzt das Konsortium GeNaLog, bestehend aus dem IML, Rewe, Doego und Tedi, auf E-Lkw, geräuschoptimierte Fahrzeugböden und Ladehilfsmittel sowie besonders geschulte Fahrer. Die Studie hat gezeigt, dass das Vorhaben technologisch machbar ist und sich Anwohner von urbanen Wohngebieten durch die eingesetzte "leise Technologie" nicht gestört fühlen. Das Problem liegt laut IML hauptsächlich auf Seiten der Gesetzgebung und den Genehmigungsverfahren. Innovative Konzepte passen nicht in das starre Korsett der Verordnungen und Richtlinien. 

Smart City Loop 

Durch ein unterirdisches Rohrleitungssystem mit Fördertechnik sollen Güter aber auch Leergut, Transportverpackungen und Retouren zwischen einem Güterverkehrszentrum (GVZ) am Stadtrand und City Hubs in der Innenstadt transportiert werden (5). Die Röhren sind so groß, dass darin Euro- oder Industriepaletten auf der Fördertechnik vollautomatisch und unterirdisch befördert werden können. Von einem GVZ am Stadtrand sollen Waren die letzten Kilometer bis in die Innenstadt zu einem City Hub befördert werden. Das Shared City Hub wird in Zukunft ohnehin zur schnellen Belieferung auf der letzten Meile durch diverse Logistiker mit E-Fahrzeugen dienen. City Hubs können neu gebaut oder auch in bestehende Immobilien wie Parkhäuser oder Kaufhäuser integriert werden. Das Vorhaben ist verhältnismäßig einfach umzusetzen, da die entsprechende Technik wie Fördertechnik schon vorhanden ist und zum "State of the Art" in der Logistik gehört. Auch gleichgroße Rohrsysteme wurden z. B. für die Fernwärmeversorgung bereits gebaut. Dies sparte enorm Zeit und Kosten bei der Entwicklung des Systems. 

Literatur:

1 Nachhaltige urbane Logistik: Konzepte gegen den urbanen Kollaps, Transport Logistic, Internationale Fachmesse für Logistik, Mobilität, IT und Supply Chain Management, Messe München GmbH, Link 

2 Urbane Logistik 2030 in Deutschland, Gemeinsam gegen den Wilden Westen, Roland Berger GmbH im Auftrag der Bundesvereinigung Logistik (BVL), Oktober 2018, Link 

3 Dachser weitet emissionsfreie Stadtbelieferung auf elf europäische Städte aus, Mai 2021, Dachser SE, Link 

4 Bernsmann Arnd et al., Potenziale einer geräuscharmen Nachtlogistik, Ergebnisse und Handlungsempfehlungen des Forschungsprojekts GeNaLog, Fraunhofer IML, Link 

5 Der Weg zur letzten Meile, Warentransport für Metropolen neu gedacht, Smart City Loop GmbH, Link 

Bernsmann Arnd, Vastag Alex, Urbane Logistik, Schnell, stadtverträglich und wirtschaftlich, Fraunhofer IML, Huss Verlag, Link 

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